Die Pest
Albert Camus, Hamburg, 2025, S. 46f
8. Dezember 2025
Das Wort ‘Pest’ war zum ersten Mal gefallen. An diesem Punkt des Berichts, während Bernard Rieux hinter seinem Fenster steht, sei es dem Erzähler gestattet, die Unsicherheit und Überraschung des Arztes zu rechtfertigen, denn seine Reaktion entsprach, bis auf Nuancen, der der meisten unserer Mitbürger. Plagen sind ja etwas Häufiges, aber es ist schwer an Plagen zu glauben, wenn sie über einen hereinbrechen. Es hat auf der Welt genauso viele Pestepidemien gegeben wie Kriege. Und doch treffen Pest und Kriege die Menschen immer unvorbereitet. Doktor Rieux war genauso unvorbereitet wie unsere Mitbürger, und von daher muss man sein Zögern verstehen. Von daher muss man auch verstehen, dass er zwischen Beunruhigung und Vertrauen hin und her gerissen war. Wenn ein Krieg ausbricht, sagen die Leute: «Das wird nicht lange dauern, das ist doch zu dumm.» Und zweifellos ist ein Krieg mit Sicherheit zu dumm, aber er dauert trotzdem lange. Dummheit ist immer beharrlich, wenn man nicht immer an sich selbst dächte, würde man das merken. In dieser Hinsicht waren unsere Mitbürger wie jedermann, sie dachten an sich selbst, anders gesagt, sie waren Humanisten. Sie glaubten nicht an die Plagen. Eine Plage ist nicht auf die Menschen zugeschnitten, daher sagt man sich, dass sie unwirklich ist, ein böser Traum, der vorübergehen wird. Aber er geht nicht immer vorüber, und von einem bösen Traum zum nächsten sterben Menschen, und die Humanisten zuerst, weil sie sich nicht vorgesehen haben. Unsere Mitbürger waren nicht schuldiger als andere, sie vergassen einfach nur, bescheiden zu sein, und sie dachten, alles sei für sie noch möglich, was voraussetzt, dass Plagen unmöglich sind. Sie machten weiter Geschäfte, sie bereiteten Reisen vor, und sie hatten Meinungen. Wie hätten sie an die Pest denken sollen, die Zukunft, Ortsveränderungen und Diskussionen aufhebt? Sie hielten sich für frei, und niemand wird je frei sein, solange es Plagen gibt.
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