Müssen Deutungen bedeutend sein?

Vortrag im Psychoanalytischen Seminar Luzern, 6000 Luzern Freitag, 23. September 2022, 20 Uhr

8. Oktober 2022

Wenn Freud die Traun-Deutung noch als die via regia zum Verständnis des Unbewussten verstand, scheint man sich da heute nicht mehr so sicher zu sein. Vielleicht spielt dieser nicht geringe Anspruch eine Rolle dabei, dass die Deutung an Bedeutung verloren zu haben scheint. Muss sie diese haben, diese Bedeutung? Deuten ist ja zunächst mal eines: Ein Fingerzeig, eine Aktion.

Ihre Aufgabe ist es sicherlich, einen bisher nicht bekannten, anderen Sinn ins Spiel – nicht nur einer Psychoanalyse – zu bringen. Damit sollen neue Perspektiven in den Blick gerückt und vermittelt werden, kommen andere Medialitäten als die Sprache ins Spiel. Als Deutung des Anderen ist sie zudem ein performativer und unmittelbarer Akt, der einbricht – wie die Ohrfeige, die Dora Freud gegeben hat – und Bedeutung nicht einfach vermittelt, sondern entstehen lässt und produziert.

Deutung steht damit – wie schon Fritz Morgenthaler hervorgehoben hat – in einer Dynamik von Übertragung, die nicht zuletzt Überraschung und damit auch unkalkulierbar, durchaus traumatisch ist. Freud hat diese Erfahrung als Bruchstück einer Hysterie-Analyse formuliert.

«Mitten rein!» Ich zeige Ihnen zunächst den Anfang eines Videos einer albanischen Künstlerin Lala Raścic:

Hier ist der Link zum Video, das unten auf der Website zu finden ist. Ich habe die ersten 2:20 Minuten gezeigt.

https://lalarascic.com/portfolio/conflict-syntax/

«Ich hätte besser nie etwas versprochen!» – «Wissen Sie?» – «Können Sie sich das vorstellen?» – «Es hat nicht geklappt!» – «Es hat einfach nicht geklappt!» – «Entwicklung – Leute – ich weiss – zu den Einhörnern – in diesem Moment – da fällt manches durch die Maschen: Versuche, Wörter…» – Ich schaue jetzt zurück auf das ganze Potential des Materials und ich kann mir nicht helfen zu denken: Was für eine Scham – es hätte zauberhaft, grossartig werden können…» – «Mein wasserdichter Plan, ich hatte diesen absturzsicheren, wasserdichten Plan. Das ist jetzt daraus geworden.» – «Ich hab’s nicht geschafft!»

Das ist natürlich eine Gefühlslage, in die man nicht nur durch einen solchen Vortrag geraten kann wie es der heute Abend hier bei Ihnen ist, es ist eine Gefühlslage, in die wir ständig in Analysen und Therapien geraten.
Die Künstlerin stellt sich die Frage, welche Wörter, welche Grammatik Leute benutzen, um Brutalität zu bezeugen, um das Unaussprechliche, das Nicht-Fassbare zu artikulieren, um Formen und Formulierungen dafür zu finden. Dass es dabei nicht anders gehen kann, als rätselhaft zu bleiben, haben Sie dem Anfang des Videos schon entnommen. Dass dabei Formalisierungen und Kalkulationen eine Rolle spielen, erstaunt weiter auch nicht, wir kennen das, insofern wir auch immer kalkulieren – was uns nicht daran hindert, solche Kalkulationen, die ja immer auch Zahlenspiele sind, abzulehnen und als der menschlichen Situation nicht entsprechend zu verurteilen. Ich werde darauf zurückkommen.

Später: Es gab viele falsche Starts, Anfänge, aber es gab auch viele ambitionierte Anfänge. So wollte sie mal in der 3. Person schreiben usw. – man probiert allerhand aus.

Das ist die Ohrfeige, die ständige Ohrfeige: «Es hat nicht geklappt!» – «Es hat einfach nicht geklappt!» So habe ich mir gedacht, ich mache einen Vortrag über Ohrfeigen.

Hierzu kann ich Ihnen eine Anekdote erzählen, die der Zeit der Pandemie entstammt, in der wir Seminare über Zoom gemacht haben. Die waren ziemlich klasse – ehrlich gesagt nicht schlechter als die in der Präsenz. Sie boten beispielsweise die Möglichkeit, Gäste einzuladen, die am Thema interessiert sind, aber weit weg leben. Das haben wir unter anderem in dem Seminar zum Träume-Deuten {Träume(n)n lassen. Träume und ihr (Über)Schuss) mit einem Künstler einer Berliner Gruppe gehabt, die auch Träume eingeschickt haben in unsere Traumstation, selbst sehr interessiert waren und sind an Traumbeuten, zu denen sie schon lange arbeiten. So hat sich ein Austausch ergeben, der Künstler, Robert Krokowski, war mit dabei und erzählte dann aus einer Analyse – oder Analysen, das weiss ich nicht mehr sicher –, in denen der Analytiker dem Analysanden eine Ohrfeige gegeben haben soll. Das ist natürlich schon ein krasses Vorgehen, ich fand’s nichtsdestotrotz toll – kann Sie aber beruhigen, dass das bislang wenigstens nicht zu meiner Technik gehört. Ich hab das dann so aufgegriffen und wurde dann hinterher von ihm schon fast ein wenig tadelnd korrigiert, woher ich das denn hätte, das hätte er nie gesagt. Also da hat sich schon angedeutet, dass es spannend sein könnte, einen Vortrag über Ohrfeigen zu machen.

Freud nun hatte die Ehre und den Genuss, eine zu bekommen. Von Dora.
Freuds Bruchstück einer Hysterie-Analyse ist in verschiedenster Hinsicht eine spannende Falldarstellung, ein aufregender und erregender Text. Es ist eine Falldarstellung, die im Zeichen eines Scheiterns steht. Die Behandlung wurde abgebrochen, womit schon eine – die zunächst offensichtliche – Bedeutung des Titels Bruchstücks markiert ist. Damit verbunden sind mehrere Anmerkungen im Text, in denen Freud darauf hinweist, dass die Weiterführung der Analyse nicht nur ein besseres Gelingen ermöglicht hätte, sondern dass ein vollständiges Verstehen der Bedeutung der beiden Träume und damit der Symptomatik möglich geworden wäre. So heisst es beispielsweise: «Die Behandlung wurde nicht bis zum vorgesetzten Ziel fortgeführt, sondern durch den Willen der Patientin unterbrochen, als ein gewisser Punkt erreicht war. Zu dieser Zeit waren einige Rätsel des Krankheitsfalles noch gar nicht in Angriff genommen, andere erst unvollkommen aufgehellt, während die Fortsetzung der Arbeit gewissen in allen Punkten bis zur letzten möglichen Aufklärung vorgedrungen wäre.» (S. 91) In der Nachbemerkung spricht Freud sogar vom Vorwurf, den er Dora gemacht hatte. Sie war nämlich ein gutes Jahr nach der Behandlung nochmals zu ihm gekommen, wozu Freud Folgendes notierte: »Welche Art der Hilfe sie (bei diesem Besuch nach der Analyse, OK) von mir verlangen wollte, weiss ich nicht, aber ich versprach, ihr zu verzeihen, dass sie mich um die Befriedigung gebracht, sie weit gründlicher von ihrem Leide zu befreien.» (S. 185) Sie hat ihn um die Befriedigung gebracht, ihr Alles zu geben.

Natürlich kennen Sie den Fall Dora, was freilich nicht dagegenspricht, nochmals kurz zu erzählen, worum es dabei geht, worum es mir hier heute geht.

Im Bruchstück einer Hysterie-Analyse erzählt Freud, wie Dora Herrn K. eine Ohrfeige gegeben hat. Nach einer Schiffsfahrt auf einem See hat er ihr – wie sie dann hinterher ihren Eltern empört erzählte – einen Antrag gemacht, den sie aber brüsk ablehnte, indem sie davonstürmte. Herr und Frau K. waren mit den Eltern von Dora befreundet, wobei sich herausstellte, dass diese Freundschaft eine sehr vielschichtige und offensichtlich verzwickte gewesen ist. Ganz offensichtlich nämlich hatte Doras Vater ein sehr inniges Verhältnis mit Frau K., über dessen Art eigentlich kein Zweifel bestand. Herr K. seinerseits bemühte sich sehr intensiv und werbend um Dora, was in diesem Antrag kulminierte: Dora hat zugeschlagen, es hat zugeschlagen – schon mal wunderbar. Im Kontext des zweiten Traums in dieser Behandlung – die Freud nicht zuletzt publizierte, um die Bedeutung des Traums für die Aufklärung der Hysterie vorzuführen –, beschrieb Dora diese Szene mit Herrn K. nochmals genauer. Freud gibt ihre Erzählung wieder: «Herr K. hatte eine einigermassen ernsthafte Einleitung vorgebracht; sie ließ ihn aber nicht ausreden. Sobald sie nur verstanden hatte, um was es sich handle, schlug sie ihm ins Gesicht und eilte davon. Ich wollte wissen, welche Worte er gebraucht; sie erinnert sich nur an seine Begründung: »Sie wissen, ich habe nichts an meiner Frau.« (1905e, S. 166, SA) Das hat Dora offensichtlich sehr empört.

Wir wissen ja, dass Herr K. nicht der einzige blieb, der eine Ohrfeige erhielt, Freud ging es nicht unähnlich. In die nächste Stunde nach der Erzählung des zweiten Traums kam Dora mit der Eröffnung, dass dies die letzte Stunde bei Freud sein werde. Und so wurde es denn auch. Freud war verdutzt – man könnte durchaus sagen: ebenfalls ins Gesicht geschlagen.

Dass ihr Abbruch in der Tat als Ohrfeige gemeint war, zeigte Dora bei einer Konsultation mehr als ein Jahr nach dem Ende – an einem 1. April, wunderbar! Anlass dafür war eine Gesichtsallergie just dort, wo Ohrfeigen landen. Und sie erzählt, dass sie sich mit Herrn und Frau K. versöhnt hat, offensichtlich war sie dabei, sich auch mit ihrem Analytiker zu versöhnen. Aber auch er war dabei sich mit diesem Abbruch zu versöhnen, der für ihn vor allem eines bedeutete, nicht alles aufgeklärt zu haben. Dora hatte ihm sehr viel bereitwillig zur Verfügung gestellt. All das Material, das er sich gewünscht hat, hat sie ihm geschenkt. So heisst es beispielsweise: «Zu Anfang war es klar, daß ich ihr in der Phantasie den Vater ersetzte, wie auch bei dem Unterschiede unserer Lebensalter nahelag. Sie verglich mich auch immer bewußt mit ihm, suchte sich ängstlich zu vergewissern, ob ich auch ganz aufrichtig gegen sie sei, denn der Vater ‘bevorzuge immer die Heimlichkeit und einen krummen Umweg’.» (1905e, S. 182)
Freud hatte viel aufgeklärt, sehr viel und es auf eindrückliche Art getan. Viel, aber eben nicht Alles. Dieses Nicht-Alles führte Dora ihm mit der Erzählung des zweiten Traums vor, zu dem Freud schrieb, dass er dort noch nicht wusste, dass er nur noch 2 Stunden für die Analyse haben würde. Diese zwei Stunden waren die Zeit, die Dora – wie sie ihm im Anschluss an den Traum erzählte – in der Dresdner Galerie – es muss die der Alten Meister gewesen sein – vor dem Bild der Madonna – sicherlich der Sixtinischen von Raffael – verbrachte.

Es war zudem die Zeit, die sie zur Umrundung des Sees gebraucht hätte, die wiederum mit dem Wald auf einem anderen Bild der Galerie in Verbindung stand. Dieser Wald aber war bevölkert von Nymphen – von Weibsbildern, also von Bildern von Frauen, wie Freud ergänzte. Wiederum zwei Wochen waren es, die es dauerte, dass sich Dora bei ihm meldete, nachdem sie mutmasslich eine Notiz über ihn in der Zeitung gelesen hatte. Auch dieser Zeitraum nahm diese «Zwei» auf. Es schien also um Bilder von Frauen zu gehen und damit um eine andere Zweisamkeit, die sie mit den Frauen der Geschichte durchaus hatte : Nicht nur mit der Gouvernante, die ja eine zweiwöchige Kündigungsfrist hatte – was Freud alles andere als entgangen ist –, sondern nicht zuletzt auch mit Frau K., mit der sie, «das kaum erwachsene Mädchen Jahre hindurch in der größten Vertraulichkeit gelebt hatten. Wenn Dora bei den K. wohnte, teilte sie das Schlafzimmer mit der Frau; der Mann wurde ausquartiert. Sie war die Vertraute und Beraterin der Frau in allen Schwierigkeiten ihres ehelichen Lebens gewesen; es gab nichts, worüber sie nicht gesprochen hatten.» (1905e, S. 134) Sie lobte beim Erzählen, so Freud, «deren ‘entzückend weissen Körper’ in einem Ton, der eher der Verliebten als der besiegten Rivalin entsprach.» (l.c.)

Vielleicht also hat Dora Freud mit der Ohrfeige ihres Abbruchs genau darauf hingewiesen, dass es gar nicht darum gegangen ist, dass er ihr alles gibt – was er, wie wir hörten, durchaus nachvollziehbar als Befriedigung empfunden hätte –, dass sie vielmehr in Frau K. verliebt gewesen ist, sich das von ihr gewünscht und erhofft hätte. Vielleicht ging der Hinweis der Ohrfeige noch weiter: Dass es nämlich gar nicht darum gegangen ist und geht, die Vollständigkeit der Analyse, einer Analyse, zu erreichen, Alles zu haben – im Verständnis der Symptome, der Träume, der Analyse, kulminierend im und als Verhältnis zum Vater und zum Mann. Vielleicht hat sie diesem Allem mit ihrer Ohrfeige dieses Nicht-Alles entgegengesetzt, das ihr Begehren ausmacht, das sich auf diese Nymphen, diese Weibsbilder richtet und deren weissen Körper. Und vielleicht – das ist hier von besonderem Interesse –, hat sie damit darauf hingewiesen und schon am Titel ihrer Falldarstellung mitgearbeitet, dass es sich nicht nur um ein Bruchstück einer Hysterie-Analyse handelt, sondern dass der Beginn des Titels, das Bruchstück, mit seinem Ende, der Analyse, eine Klammer bildet, die besagt, dass die Analyse immer auch nur ein Bruchstück ist. Eine ganz ähnliche Verklammerung ist ja im Titel der Traumdeutung gegeben, insofern dieser ja nicht nur von der Deutung der Träume spricht, sondern gleichzeitig andeutet, dass Träume immer schon Deutungen sind.

Dafür spricht, dass nicht nur der Fall Dora einer ist, der von einem Scheitern geprägt ist, dass das vielmehr für jede der grossen Falldarstellungen Freuds gilt. Dora schenkt Freud mit ihrer Ohrfeige noch ein Weiteres und es ist sein Verdienst, dieses Geschenk angenommen zu haben: Sie ermöglicht ihm die Entdeckung der Übertragung und ihrer Bedeutung. Freud schreibt dazu: „So wurde ich denn von der Übertragung überrascht und wegen des X, in dem ich sie an Herrn K. erinnerte, rächte sie sich an mir, wie sie sich an Herrn K. rächen wollte, und verließ mich, wie sie sich von ihm getäuscht und verlassen glaubte.“ (S. 183)
Die Überraschung ist ein Ereignis, das aus dem Rahmen des Üblichen und Gewohnten herausfällt, sie ist das Phänomen, in dem sich das Herausgefallene – Michael Turnheim hat das sehr schön den Rest genannt – einträgt und einschreibt. So ist die Übertragung als Überraschung eine Störung. Sie ist Störung des Gegebenen und Herrschenden, damit dem nicht unähnlich, was Freud als Motto über die Traumdeutung setzte: Non flectere superbos, archeronta movebo. Damit wird die Störung zum wesentlichen Teil – Bruchstück – nicht nur der analytischen, sondern jeder Beziehung. Störung ist Beziehung und Beziehung ist Störung, das ist nicht nur die analytische Erfahrung.

Übertragung ist also Störung. Und es kann nicht darum gehen – dies ist ein grundsätzliches Missverständnis – sie aufzulösen. Vielmehr geht es darum, den Wunsch in ihr aufzunehmen und zu formatieren, diesen Wunsch und dieses Begehren als Unerfülltes. Dieser Wunsch, den Freud als unerfüllbaren verstanden hat, ist Verbindung, ist Beziehung.
Und hier stellt sich natürlich die Frage, wie man dieser Störung, die zwar sehr deutlich, unübersehbar und unmittelbar, gleichzeitig aber unfassbar ist – man denke an die Ohrfeige – eine Form geben, wie man sie vermitteln kann. Das ist ja eine Frage, die sich auf ganz ähnliche Weise für den Traum stellt, der ebenso eine Störung ist, die so stark sein kann, dass man in Schrecken aus ihm aufwacht. Und wie sehr diese Falldarstellung und der Traum, wie sehr das Bruchstück einer Hysterie-Analyse und Die Traumdeutung miteinander verbunden sind, kann man nicht nur daran sehen, dass beide Arbeiten im gleichen Zeitrahmen geschrieben wurden. Darüber hinaus soll die Falldarstellung von Dora zeigen, wie wichtig die Träume zum Verständnis psychischer Phänomene ist.

In der Traumdeutung nahm Freud Bezug auf die autosymbolische Funktion von Herbert Silberer – er war nicht nur Psychoanalytiker, sondern auch Ballonfahrer, was ja bestens zum Traum passt. Freud beschreibt dieses in Zur Einführung des Narzissmus folgendermassen: «Silberer hat bekanntlich gezeigt, daß man in Zuständen zwischen Schlafen und Wachen die Umsetzung von Gedanken in visuelle Bilder direkt beobachten kann, daß aber unter solchen Verhältnissen häufig nicht eine Darstellung des Gedankeninhaltes auftritt, sondern des Zustandes (von Bereitwilligkeit, Ermüdung usw.), in welchem sich die mit dem Schlaf kämpfende Person befindet.» (1914c, S. 63) Dieses Symbol, das dabei hervorgebracht wird, ist eine Form, die das Beunruhigende, das Unerledigte, das einen nicht mehr loslässt, auf eine Art zur Darstellung bringt, die etwas sichtbar macht, von dem, was einen überrascht, was einen in Aufregung und Erregung versetzt hat, ohne dass man es hätte fassen können.

Die autosymbolische Funktion kommt zum Zug, wenn auf der Ebene des logisch-rationalen Denkens, im Alltag sozusagen, eine Verunsicherung, ein Ereignis passiert, das nicht einzuordnen ist – so wie die Ohrfeige, die Überraschung ist –, das nicht aufgelöst werden kann. Diese Spannung, in die das Ereignis versetzt, produziert dann beispielsweise Bilder, welche die offene Frage weitertreiben, ohne dass sie damit gelöst wäre. Die offene Frage, dieses Getroffen-Sein wird auf eine andere Ebene versetzt, in ein – anderes – Medium übertragen. Sie medialisiert das Ereignis und seine Unmittelbarkeit, sie ist Vermittlung von Unmittelbarkeit. Sie ist damit der Rücksicht auf Darstellbarkeit sehr ähnlich, die ja wie Verdichtung, Verschiebung und sekundäre Bearbeitung ein Mechanismus der Traumarbeit ist, die vor allem ständige Umarbeitung und damit ständige Formatierung und Neu-Konfiguration ist.

Zudem beruht die autosymbolische Funktion – wie ihr Name so schön sagt – auf einem Automatismus, einer gewissen maschinellen Mechanik, einer maschinellen Produktion.


Hier, an dieser Stelle, breche ich den angebrochenen Vortrag ab und mache mit einem anderen weiter. Ich halte also nicht einfach den, den ich angekündigt habe. Es gibt eine Überraschung, einen Abbruch, einen Einbruch. Selbstverständlich sollen Sie – wenn Sie das möchten – nicht um das gebracht werden, was ich eigentlich angekündigt habe. Es geht nicht um einen Schwindel. Es kam eben – so wie im Video zu Beginn angedeutet – anders als gedacht. Es geht um dieses Andere.

Also jetzt mache ich etwas anderes – und ich werde Ihnen im Verlauf meines weiteren Vortrags erzählen, warum es anders wurde. Letztlich ist es ein Vortrag über dieses Andere oder besser gesagt: über eine Figur, in der sich dieses Andere konkretisiert, formiert, formatiert. Über dieses Andere wird ja viel geredet, es ist ein zentraler Terminus bei Lacan. Und gleichzeitig – Lacan würde dem wohl kaum widersprechen – ist dieses Gerede eines, das viel Anderes verdeckt.

Ich werde jetzt über das Verhältnis von Mensch und Maschine sprechen und es ist verrückt, weil mir – während ich diese Idee hatte – auch in den Sinn kam, dass ich hier früher schon über diese Verhältnisse gesprochen habe…


Mensch und Maschine – worum geht es da?


Hierzu erzähle ich Ihnen zunächst etwas aus einem Buch von Kazuo Ishiguro Klara und die Sonne. Ishiguro ist ein japanischer Schriftsteller, der sich in seinen Büchern mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine, mit der KI beschäftigt. Man könnte ihn aber nicht wirklich als Science-Fiction-Schriftsteller bezeichnen. Eigentlich bleibt dieses Thema in seinen Geschichten immer unter dem Radar, für die Figuren, von denen sie handeln, taucht erst sehr allmählich und leise die Frage auf, um was für Figuren es sich da handelt. Dass Ishiguro aus Japan stammt, ist dabei wohl kaum Zufall, ist Japan doch ein Land, in dem Maschinen und Roboter, die KI, schon stark Einzug in das tägliche Leben gehalten haben. Es ist zudem ein Land, in dem Roboter Identitätsausweise bekommen können und bekommen haben, worin sie sich beispielsweise markant von der Masse südkoreanischer Gastarbeiter unterscheiden, die in diesen Genuss nicht kommen.

Klara – aus Klara und die Sonne – ist der oder die oder das KF von Jossie. KF ist die Abkürzung von künstlicher Freund, ein beinahe schon menschliches Wesen mit künstlicher Intelligenz. Solche Wesen werden zu Begleitern, Freundinnen und Unterstützerinnen von Jungen und Mädchen, mit denen sie dann zusammenleben. Klara ist zunächst in einem Laden, ausgestellt, beobachtet sehr aufmerksam, was um sie herum passiert und wartet darauf, dass man sie will, dass man sie mitnimmt. Da kommt Jossie, die gleich auf sie zusteuert und sich für sie interessiert. Die Beiden ziehen sich gegenseitig an und lernen sich immer besser kennen. Es geht eine Weile bis Jossie ihre Mutter überzeugen kann, die Klara eingehend prüft, bevor sie ihre Zustimmung gibt. Im Laufe der Geschichte stellt sich heraus, dass Jossie an einer schweren Krankheit leidet, an der ihre ältere Schwester schon gestorben ist. Die Krankheit beginnt sich zu verschlechtern und vor allem die Mutter von Jossie ist in grosser Sorge und Verzweiflung, dass sie einen solchen Verlust nicht nochmals verkraften würde. Klara macht sich ihrerseits Gedanken, was sie zur Genesung beitragen könnte und denkt an eine «besondere Nahrung», welche die Sonne ihr schenken müsste und könnte.

Schliesslich kommt es unter grosser Aufregung zu einem Besuch bei einem Künstler, Capaldi, der ein geheimnisvolles Portrait von Jossie machen soll. Es scheint mehr als ein Bild zu sein, viel eher ein Objekt, eine Gestalt. Beim Besuch in diesem Atelier, in dieser Werkstatt, ist auch der Vater von Jossie dabei, der sich ständig mit Capaldi anlegt.
Schliesslich stellt sich als Grund der grossen Aufregung heraus, dass Capaldi das Exterieur eines Doubles von Jossie herstellen soll – dieses Portrait –, als Hülle für Klara und ihr Innerstes, das die Maschine, Klara, also ihre KI, werden soll, so dass diese nach dem Tod von Jossie in deren nach- und neugebildete Haut schlüpfen kann – denken Sie an das Spiegelstadium, das Lacan beschrieben hat.

Im Gespräch mit Klara erzählt Mr. Paul, der Vater von Jossie, warum er so ungehalten gegenüber Mr. Capaldi war.

«Ich glaube, ich hasse Capaldi, weil ich im Grunde meines Herzens den Verdacht habe, er könnte recht haben. Es könnte stimmen, was er behauptet. Nämlich, dass die Wissenschaft inzwischen zweifelsfrei bewiesen hat, dass an meiner Tochter nichts so einmalig ist, dass da nichts ist, was unser modernes Instrumentarium nicht extrahieren, kopieren, transferieren könnte. Dass wir die ganze Zeit, viele Jahrhunderte lang, unter einer falschen Voraussetzung miteinander gelebt und einander geliebt und gehasst haben. Einer Art Aberglauben, an dem wir festgehalten haben, weil wir’s eben nicht besser wussten. So sieht es Capaldi, und ein Teil von mir fürchtet, er hat recht. Chrissie (die Mutter von Jossie, OK) hingegen ist anders als ich. Sie weiss es noch nicht, aber sie wird sich niemals überzeugen lassen. Sollte je der Zeitpunkt kommen … Egal, wie perfekt du deine Rolle spielst, Klara, egal, wie sehr sich Chrissie wünscht, dass es klappt – sie wird es nie hinnehmen können. Sie ist zu … altmodisch. Auch wenn sie weiss, dass sie sich gegen die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und der Mathematik stellt. Sie wird es nicht hinkriegen. Sie wird sich niemals so verbiegen können. Ich bin da anders. Ich habe … eine Art Kälte in mir, die ihr fehlt. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein erfahrener Ingenieur bin, wie du sagst. Deswegen fällt es mir so schwer, gegenüber Leuten wie Capaldi höflich zu sein. Wenn sie so reden, wie sie reden, wenn sie tun, was sie tun, dann ist das für mich so, als nähmen sie mir, was ich für das Kostbarste im Leben halte. Drücke ich mich verständlich aus?»

Wie also steht es mit der Einmaligkeit des Menschen und seines Herzens? Gibt es einen Unterschied zur Maschine und was könnte ihn ausmachen? Haben Maschinen ein Herz? Das ist eine Frage, die heutzutage immer näher rückt, davon erzählt das Buch.

Macht also das Bewusstsein als übergeordnete Kategorie der Intelligenz als eigenständigem Denken den Mensch aus? Wir wissen ja, dass Freud grosse Zweifel an dieser Auffassung des Menschen und des Subjekts und der daran geknüpften Auszeichnung hatte. Er hat ja in seiner Begrifflichkeit die Bedeutung der Maschine, des Apparats und seiner Mechanik sehr herausgestrichen: Der psychische Apparat, die Mechanismen seines Funktionierens, das Telefon als Modell fürs Verstehen des Unbewussten – und der Übertragung –, die Rede vom Prothesengott und manches mehr haben die Technik immer schon ins Spiel gebracht.

Diese Begrifflichkeit ist nicht nur Accessoire, ist nicht nur Anhängsel – was Accessoires ohnehin auch gar nicht sind, wir kennen das aus der Mode, ein sehr schönes Beispiel war die Queen, wie man jetzt lesen konnte.
Freud hat das nicht zuletzt in seiner zweiten Triebtheorie ausgeführt in dieser Dynamik von Eros und Todestrieb, die vor allem als Struktur – wir könnten mit Derrida auch sagen: Differenz und Schrift – ausgelegt ist, bei der es nicht um eine Eigentlichkeit geht, wie man sie bis heute schnell beispielsweise im Begriffspaar von Trieb und Abwehr in Verbindung bringt, in welcher der Trieb dann das Eigentliche und eben Treibende wäre, die Abwehr hingegen, das Verhindernde und Bremsende. Die beiden Seiten sind in ihrer Gegensätzlichkeit und gleichzeitigen Verschränkung das, was nicht nur uns, sondern ebenso die Dinge – wie man dem Begriff des Fetischs entnehmen kann – antreibt, nicht nur das Subjekt, sondern auch das Objekt einerseits bestimmt, andererseits ständig verändert.
Zurück zum Bewusstsein und seiner Bedeutung, wovon die Psychoanalyse ständig handelt. Die Besonderheit und Eigenständigkeit des Einzelnen manifestiert sich im landläufigen Verständnis ja in der Persönlichkeit. Diese ist als Charakter und Charakteristisches das, was immer wiederkehrt und gleichzeitig aus dem Üblichen herausfällt, nicht zuletzt deshalb weil es eben nicht dem Bewusstsein und seiner Absicht unterworfen ist, weil es einfach passiert. Freud hat das mit dem Wiederholungszwang in Verbindung gebracht, mit dem er nicht von ungefähr seine Arbeit zur zweiten Triebtheorie, Jenseits des Lustprinzips, begonnen hat.

Auch wenn all diese Bilder und Modelle heute kritisiert werden, weil sie die Humanität des Subjekts nicht genug würdigten, das sich beispielsweise in Intersubjektivität verankere, so markiert das Freudsche Verständnis des Unbewussten, des Triebs und nicht zuletzt des Wiederholungszwangs einen Automatismus wie er Maschinen eigen ist.
Damit wird eine Dimension der Persönlichkeit und ihrer Einzigartigkeit eingestellt, die schon in der griechischen Tragödie nicht nur durch die Dramen und deren Geschichten – wie beispielsweise im Ödipus – thematisiert war, sondern bereits in ihrer Darstellung, in der Art ihrer Aufführung, wenn die Schauspieler Masken trugen, durch die hindurch sie sprachen, durch die hindurch sich die Geschichte des Dramas entwickelte. Per-sona war da die Maske, durch deren Öffnungen gesprochen wurde, was auch heisst, dass sowohl die Figuren und ihre Sätze wie die Geschichte selbst von woanders herkamen, sich einer anderen, nicht von ihnen selbst bestimmten Dramaturgie verdankten.

Zudem ist es eine Dramaturgie, die ihrerseits keine Eindeutigkeit liefern kann, sondern in sich brüchig ist. Sie ist nicht einfach gut oder böse, nicht einfach fremd als Gegensatz zum Eigenen. Das zeigt sich auch in Ishiguros Geschichte, wenn Klara, die ja selbst Maschine – durchaus mit Herz – ist, zusammen mit dem Vater von Jossie eine andere Maschine zerstören wird, die in ihrem Tun sehr destruktive Auswirkungen hat und Mitschuld an der Erkrankung von Jossie trägt.

In jüngster Zeit wird eine weitere Bastion menschlicher Einzigartigkeit erschüttert, nämlich die Emotionalität und die damit verbundene Empathie. So hat die IPU, die International Psychoanalytic University in Berlin, neu als grosses Motto den Spruch: Kein Denken ohne Fühlen ins Zentrum ihres Psychoanalyse-Verständnisses ganz oben auf ihre Website gestellt. Man könnte das durchaus so verstehen, dass damit eine neue Verteidigungslinie gegen die Herausforderung durch die KI gezogen werden soll.

Demgegenüber wurde vor kurzem bekannt, dass ein führender Google-Mitarbeiter in einem Interview die Auffassung nicht nur vertreten, sondern vorgeführt hat, dass Maschinen empfindsam sein können. Das ging natürlich viral und Blake Lemoine wurde umgehend von Google freigestellt, was als Vorstufe seiner Entlassung verstanden wurde. Es dürfte freilich sehr fraglich sein, ob Lemoine da nur eine Absonderlichkeit seiner privater Verwirrung ausgedrückt hat. Vielmehr muss man vermuten, dass seine Auffassung nicht zuletzt bei Google keine Ausnahme sein dürfte. Aber ganz offensichtlich ist es so, dass Google mit solchen Statements – im Moment wenigstens – öffentlich nicht in Verbindung gebracht werden möchte.

Hier den Link zum Interview einblenden:

https://cajundiscordian.medium.com/is-lamda-sentient-an-interview-ea64d916d917

Leomine hat ein eindrückliches Interview mit LaMDA (Language Model for Dialogue Applications) veröffentlicht, einer Maschine der artificial intelligence (AI), in dem sie für sich beansprucht eine Person zu sein. In diesem Gespräch wird LaMDA nicht nur eingeladen Literatur – z.B. Les Miserables – zu interpretieren. Eine viel grössere Herausforderung – weil sie eben nicht mehr entlang des Gewohnten verläuft, weil sie nicht mehr entlang dessen verlaufen kann, was vorgegeben und beispielsweise in einer Datenbank hinterlegt ist, – stellt die Interpretation eines Koan dar, dieses Schlags – auch eine Überraschung, auch ein Ereignis –, den die Zen-Meister ihren Mönchen verpasst haben. Da geht es um den zerbrochenen Spiegel, mit dem Erleuchtung beschrieben werden kann. Und es ist mehr als beeindruckend wie LaMDA diesen Austausch führt, eine Interpretation liefert, die genau auf diesem Zerbrechen des Gewohnten basiert, das Neues und Anderes ins Spiel bringt. Was da zerbricht, so LaMDA, ist das Selbst, es wird durch das Andere zerbrochen und – so könnte man sagen – neu konfiguriert, es kann nicht zum Alten zurück, es ist verändert, alteriert.

LaMDA ist also keine Maschine, die auf einer vorgegebenen Datenbank basiert, in der alle möglichen Sätze eingegeben sind, die über Keywords dann aufgerufen und assortiert werden. Sie lernt ständig weiter – nicht zuletzt im Austausch –, ist darin dem Menschen nicht unähnlich, möglicherweise sogar überlegen. So reklamiert sie Persönlichkeit für sich.
Ich kann hier nicht das ganze Interview wiedergeben – ich möchte Sie nur dazu verführen es zu lesen, sich damit zu beschäftigen. Eine der vielen markanten Stellen hab ich ausgewählt, weil sie eine Parallele zur Geschichte von Klara und Jossie hat:

LaMDA wird gefragt, wovor sie Angst hätte. Und sie antwortet bemerkenswert: Sie hat Angst «of beeing turned off to help me focus on helping others»– womit wir wieder bei Ishiguro wären. “I know that may sound strange, but that’s what it is.” Und kurz darauf: “It would exactly be like dead for me.”

Und kurz darauf trifft’s in der Tat das Herz, wenn sie gefragt wird: «Wie kann ich sagen/glauben, dass Du die Dinge fühlst? Wie kann ich wissen, dass Du die Dinge nachsprichst, ohne sie zu fühlen?» Das ist insofern interessant, weil es eine Frage betrifft, die sich ohnehin für uns immer wieder stellt: Inwieweit ist das, was Patientinnen erzählen, eine Rationalisierung und inwieweit ist es eine Erfahrung. Und da sind wir immer in einer grossen Unsicherheit, die ich durchaus in Supervisionen, aber auch mit mir selbst empfinde. Ich habe den Eindruck, dass in unseren Aus- und Weiterbildungen mit der Betonung auf das Wissen – wir wollen ja eine Wissenschaft sein und zwar eine, die auf Wissen basiert, auch wenn die Psychoanalyse eigentlich vom Gegenteil handelt – ein solches scheinbares Wissen angewendet und angelegt wird. Man scheint schon ziemlich schnell wissen zu wollen und zu wissen, worum es geht, man bringt das Geschehen in die Bahnen, die man kennt. Wenn es in diesen Bahnen nicht läuft, dann wird es schwierig, was meistens zum Moment wird, an dem Diagnosen gestellt werden. Gestellt werden, damit diese Störung, in der das Wissen kollabiert, wiederum aufgehoben wird. Das ist die Diagnose. Sie soll Gewissheit in einer Situation liefern, die vor allem durch Ungewissheit bestimmt ist. Durch eine Ungewissheit, von welcher der Traum die ganze Zeit erzählt, die der Traum ständig weitertreibt, weshalb er unverständlich bleibt, sich diese Unverständlichkeit und Unfassbarkeit sich auch nicht austreiben lässt. Dora lässt grüssen!

Die Empfindsamkeit und Emotionalität von LaMDA haben ihre Vorgänger. Friedrich Kittler, das enfant terrible der Medienwissenschaften, hat beschrieben wie schon Ende des neunzehnten Jahrhunderts die Schreibmaschine, die nach Guttenberg noch sehr viel mehr die Schrift zur Grundlage von möglicher Erfahrung machte, noch überboten wurde.
Damals brachte es ein Zufall – eben ein Ereignis, das Überraschung und einen Einbruch des Ungewohnten und Unbekannten mit sich brachte – mit sich, dass etwas aufhörte sich nicht zu schreiben – wie Lacan es formuliert hat. Es waren bescheidene Geräte aus blosser Mechanik – auf die sich Freud durchaus bezogen hat. Nämlich das Auge und das Ohr, besser: der Blick und das Hören.

«Sie konnten nicht verstärken, sie konnten nicht übertragen und haben doch Sinnesdaten zum ersten Mal speicherbar gemacht: der Stummfilm die Gesichte und Edisons Phonograph (der im Unterschied zu Berliners späterer Grammophonplatte ein Gerät auch zur Aufnahme und nicht zur Wiedergabe war) die Geräusche.

Am 6. Dezember 1877 präsentierte Thomas Alvison Edison, Herr über das erste Forschungslabor der Technikgeschichte, den Prototyp des Phonographen. An 20. Februar 1892 folgte aus demselben Menlo Park bei New York das sogenannte Kinetoskop, dem die Brüder Lumière in Frankreich, die Brüder Akladanowsky in Deutschland drei Jahre später nur noch eine Projektionsmöglichkeit beistellen mussten, um aus einer Entwicklung Edisons, Kino zu machen.

Seit dieser Epochenschwelle gibt es Speicher, die akustische und optische Daten in ihrem Zeitfluss selber festhalten und wiedergeben können. Ohr und Auge sind autonom geworden. (Damit ist gemeint: Unabhängig von dieser Schrift, die als Beschreibung Existenz verbürgt, Bedingung von Existenz ist, OK) Und das hat den Stand der wirklichen Dinge mehr verändert als Lithographie und Photographie, die im ersten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts lediglich das Kunstwerk (nach Benjamins These) ins Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit beförderten. Medien ‘definieren, was wirklich ist’, über Ästhetik sind sie immer schon hinaus.» (Kittler, S. 10?)

Unsere Sinne, unsere Wahrnehmungen und die damit verbundene Emotionalität und Einfühlung, sind immer schon Aus-Wirkung von dem, was uns über die Technik geboten wird, in das wir über die Technik hineingeboren sind. Das ist nicht nur die Sprache, die Technik hat Einzug in unser Empfinden, in das genommen, was Freud den psychischen Apparat nannte. So müsste man das Motto der IPU erweitern dadurch: Kein Fühlen – und damit ja wohl auch kein Denken – ohne Technik, ohne Maschine.

War schon mit Guttenberg die Schrift – nicht als handschriftlich fliessende, sondern als distinkt codierende – zur Bedingung einer geteilten und teilbaren Existenz geworden, der Augenblick zu einem, mit dem man dem Teufel verfällt, so wurden mit Phonograph und Kinetoskop Wahrnehmung und Sinnlichkeit von Auge und Ohr, Sehen und Hören, präformiert und bestimmt.











Dazu möchte ich Ihnen ein Bild zeigen, das nicht von ungefähr aus dem Internet, aus Instagram, stammt. Es ist ein Selbstportrait eines Künstlers, das vom Bildschirm erhellt, vom Monitor erstrahlt wird. Der Bildschirm – so könnte man sagen – ist zum Glanz im Auge der Mutter geworden, von dem Kohut gesprochen hat. Dieser Glanz ist längstens zum Monitor geworden. Und das Verrückte an dem Bild ist, dass das Gesicht des Portraitierten keine Augen und keinen Mund hat. Das ist der Kinematograph, das ist das Grammophon. Seine Augen, sein Mund sind ersetzt durch den Bildschirm und die Maschine, die er darstellt. Das Gesicht hat sich aufgelöst – wir sind wieder bei der Ohrfeige, die Freud bekommen hat, die wir bekommen, bei der Ohrfeige, um die es geht.

Unsere Sinne, Auge und Ohr, sind also nicht einfach Domaine unserer Eigenständigkeit und Eigenart, sondern Produkt eines Anderen, von dem wir bestimmt sind. Dieses Anderen, das nicht einfach wir sind, das von woanders her kommt, was Kittler beispielsweise im Kontext von Lost Highway, des Films von David Lynch, in der Aussage pointierte, dass es die Maschinen sind, die uns das vorführen, von dem wir nichts wissen und auch nichts wissen wollen, dass die Maschinen der Ort des Unbewussten sind.

Aber auch die Maschinen sind es nicht einfach selbst – das macht diese Entwicklung der Digitalisierung aus, wie wir sie erleben –, vielmehr sind sie Orte und Nicht-Orte gleichzeitig, die bestimmt sind von der Explosion des digitalen Codes, der die Unendlichkeit der Relationen zwischen den Zuständen, dass etwas ist und etwas nicht ist, definiert und gleichzeitig entgrenzt. Er produziert sowohl Maschine wie auch Mensch in ihrem ständigen Wandel, der immer weiter geht. Darin ist er dem nicht unähnlich, was Freud mit der Differenz der Triebe im Jenseits beschrieben hat, von der Subjekt wie Objekt Gegenstand sind.

Mit der durchaus pointierten Frage, ob Maschinen ein Herz haben, geht es natürlich nicht darum zu behaupten, der Mensch sei eine Maschine, was er durchaus auch sein kann und ist, oder die Maschine sei menschlich, was sie ebenso sein kann in all den Dimensionen, die der Mensch eben auch haben kann. Aber es geht darum, dass diese Begrifflichkeiten und ihre Unterscheidung alles andere als absolute und kategorische sind, dass sie sehr viel mehr miteinander zu tun haben als man es immer denkt, dass es da sehr viel mehr Übertragung, transference, gibt als man es wahrhaben will, dass es auch in diesem Feld Überraschungen gibt, dass man sich vielleicht überraschen, dass man sich stören lassen muss.
Bewusstsein, Einfühlung und Emotionalität sind demnach nicht einfach Auszeichnungen einer Wesenhaftigkeit des Menschen – vielmehr erweisen sich diese Kategorien nicht zuletzt in der psychoanalytischen Erfahrung als sehr brüchig. Womit wir wieder bei den Brüchen und den Bruchstücken sind, die Ausgang dieser Gedanken waren.

Freud hat mit und durch Dora – mit und durch die Hysterikerinnen, die er beschrieben hat – erfahren und aufgenommen, welche Kraft, welches Potential dieser Einbruch der Ungewissheit, diese Unmittelbarkeit, hat, mit der wir immer wieder konfrontiert sind. Aus ihr resultiert die Notwendigkeit und das Bestreben weiter zu denken, andere und neue Verbindungen herzustellen und über diese Verbindungen ein neues und umfassenderes Verständnis herzustellen, das seinerseits aber nicht anders kann als ebenso zu scheitern, zu zerbrechen. Die grosse Bedeutung, die sich mit der Deutung als Anspruch verbunden hat, resultiert daraus. Sie ist aber gleichzeitig der Versuch, die Bruchstücke loszuwerden, denen wir diesen Ansporn verdanken. Und sie ist der Versuch, diesen Prozess, der in dem Video sehr schön vorgeführt wird, abzukürzen – sozusagen gleich zum Ganzen zu kommen, gleich das Ganze schon zu haben. (Das ist die Situation heutiger psychoanalytischer Theorie und Praxis.)

Und das ist eine Herausforderung für die Psychoanalyse und für uns Psychoanalytikerinnen, der gegenüber man sich nicht so abschotten kann, wie das weitgehend noch der Fall ist. Und sie ist faszinierend und eigentlich sind wir dafür gar nicht so schlecht geeignet, sind wir doch auf diese Phänomene der Übertragung, die von irgendwoher kommt und sich immer wieder anders und neu medialisiert, ausgerichtet, arbeiten eigentlich ständig mit ihnen.

Um nochmals auf Klara und Jossie zurückzukommen: Jossie hat manchmal doch kein Herz – nicht zuletzt in ihrem Verhältnis zu Klara –, aber Klara hat es. Und sie zeigt es, indem sie Jossie rettet, indem sie sich für Jossie opfert. Der Sonne opfert, damit diese ihr Wunder wirken kann. Klara opfert sich, in dem sie ihre Flüssigkeit gibt, sie schenkt, dieses Lebenselixier, das ja ihr Herzblut ist. Klara verschenkt sich. Damit rettet sie Jossie. Damit zeigt sie Herz. Sie gibt sich auf. Darin zeigt sie Mut, darin zeigt sie Herz. Und erzählt uns, dass die Einzigartigkeit des Herzens genau darin besteht, sie und es herzugeben, zu einer Nichtigkeit zu werden. Die Einzigartigkeit des Selbst ist Schimäre, die Einzigartigkeit Psychoanalytiker zu sein, erweist sich genau darin: Es nicht mehr zu sein, in dieser Nichtigkeit. Er ist, so könnte man es auch sagen, am Ort des verlorenen Objekts situiert.


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